Tritime: Pulsgesteuertes Triathlon-Training (Teil 1.)
Trianingssteuerung mit Puls.
Im Jahr 1983 kam ich das erste Mal mit einem Pulsmesser in Kontakt. Während der Leichtathletik-WM in Helsinki staunte ich über diese drahtlose Übertragung der Herzfrequenz auf das Handgelenk. Ich lieh mir ein Gerät aus und lief ein paar Runden. Puls 154. Punkt. Ende der Aussage.
Auch heute noch haben viele Athleten das gleiche Aha-Erlebnis wie ich vor über 30 Jahren. „Heute bin ich eine Stunde mit einem Durchschnittspuls von 160 Schlägen pro Minute gelaufen.“ Das war’s. Der Pulsmesser wird häufig dazu benutzt, nur eine Zahl zu dokumentieren anstatt sie „professionell“ für den eigentlichen Zweck zu verwenden, der Trainingssteuerung.
Maximalpuls
Es existieren viele unterschiedliche Ansatzpunkte, den Maximalpuls zu errechnen. Die bekannteste Formel besagt „220 minus Alter“. Das Ergebnis ist genau so verkehrt wie die Aussage des statistischen Bundesamtes, dass der Durchschnittsmann in Deutschland 177 Zentimeter groß ist, 80 Kilogramm wiegt und die Anzuggröße 48 hat. Wenn Sie nach dieser Regel einen Einkauf tätigen, wird der Anzug einigen von Ihnen passen, anderen wiederum nicht. Wenn dieses einfache Beispiel schon nicht passt, woher soll jemand dann wissen, ob er von der oben aufgeführten Maximalpulsformel ausgehen kann? Die Antwort ist simpel. Gar nicht! Die amerikanische Ausdauerathletin Sally Edwards (unter anderem Zweitplatzierte bei den Ironman-Weltmeisterschaften 1981 in Kailua-Kona) trat dazu bereits 1996 in ihrem Buch „Sally Edwards’ Heart Zone Training“ den wissenschaftlichen Beweis an. Also bleibt nichts anderes übrig, als einen Maximalpulstest durchzuführen. Im Rahmen eines Belastungs-EKGs bei einem Sportarzt erfahren Sie auf diesem Wege neben Ihrem Maximalpuls auch noch einiges über den Gesamtzustand Ihres Herzens. Mit etwas Erfahrung können Sie die maximale Schlagkraft Ihres Herzens auch selbst feststellen, indem Sie sich, je nach Trainingszustand zwischen vier und zehn Minuten maximal belasten. Aber auch die Pulsmesser auf dem Markt bieten entsprechende Schätzungen an. Die sind in aller Regel genauer als die „220 minus Alter“-Formel, da neben den Schlägen pro Minute auch noch die Herzfrequenzvarianz einkalkuliert wird. Aber letztendlich handelt es sich auch hierbei nur um Schätzungen.
Ruhepuls und Herzvolumen
Die Pulsfrequenz ist eine hervorragende Kenngröße, wie es unserem Körper geht. Dabei hat der Maximalpuls keinerlei Aussagekraft über das Leistungsvermögen und nutzt, alleine betrachtet, recht wenig. Wichtig ist die ganze Bandbreite der Pumpleistung unseres Herzens. Fehlt also neben dem Ruhepuls, der am besten morgens kurz vor dem Aufstehen gemessen wird, auch noch das Herzvolumen. So kann zum Beispiel ein Herz mit 160 Schlägen pro Minute genau so viel Blut transportieren wie ein Herz mit 200 Schlägen. Die Chinesen glaubten früher, dass einem Mensch nur eine fest vorgegebene Anzahl von Herzschlägen und Atemzügen zur Verfügung steht. Diese Idee ist interessant und verdeutlicht auf einfache Art und Weise die gesundheitlichen Vorzüge sportlicher Betätigung. Das Herz eines Nichtsportlers mit einem Durchschnittspuls von 70 Schlägen in der Minute schlägt täglich 100.800 Mal (70 Herzschläge x 60 Minuten x 24 Stunden). Durch Training verbessert sich die Pumpleistung des Herzens. Ein Mensch, der täglich zwei Stunden mit einem Puls von 140 Schlägen pro Minute trainiert und dadurch zum Beispiel seinen Durchschnittspuls auf 50 Schläge pro Minute reduzieren kann, braucht „nur“ 82.800 Schläge pro Tag (140 x 60 x 2 + 50 x 60 x 22). Dies bedeutet trotz des Trainings fast zwanzig Prozent weniger Arbeit für das Herz eines Sportlers. Allerdings birgt Sport auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko, denn gerade Anfänger steigern bei aller Motivation und Euphorie ihre Trainingsumfänge viel zu schnell. Unser Kreislaufsystem (Herz, Lunge, Blutgefäße) besitzt die Fähigkeit, sich relativ schnell neuen Reizen anzupassen. Unsere Muskeln dagegen brauchen doppelt so viel Zeit, um sich den höheren Belastungen anzupassen, Knochen, Sehnen und Bänder das Dreifache an Zeit!
Pulsmesser
Die meisten hochwertigen Pulsmesser besitzen standardmäßig Funktionen, die dem Athleten auf Basis von Alter, Geschlecht, Körpergröße und Aktivitätsniveau und den in den verschiedenen Belastungsstufen gemessenen Pulswerten bestimmte Trainingsbereiche vorschlagen. Die Genauigkeit dieser Angaben, bei denen auch die individuelle Herzfrequenzvarianz berücksichtigt wurde, ist für Sportler in den ersten beiden Trainingsjahren sicherlich ausreichend. Fortgeschrittene dagegen stoßen bei dieser „Bemessungsgrundlage“ an ihre Grenzen (siehe auch Anzuggröße 48). Aus diesem Grund unterziehen sich viele Triathleten einer umfassenden leistungsdiagnostischen Beratung.
Leistungsdiagnostik
Das Resultat einer Leistungsdiagnostik gibt dem Athleten Auskunft darüber, wie er zur Erreichung seines Ziels am effektivsten trainieren sollte. Das Training selbst wird dabei über die Geschwindigkeit (km/h), den Krafteinsatz (Watt) oder die Zeit in Kombination mit der Herzfrequenz gesteuert. Leider gibt es kein standardisiertes Verfahren zur Berechnung der (an)aeroben Schwelle. Es existieren lediglich verschiedene Modelle. Während einige ganz generell nur den Puls in Betracht ziehen, stellen andere feste Laktatgrenzen in den Vordergrund. Bei vielen Trainern stehen die Laktatkurve und der Bereich mit dem größten Steigungswinkel im Fokus, während andere schwerpunktmäßig eine Atemgasanalyse (Spirometrie) vornehmen. Idealerweise erhöht sich durch die Kombination mehrerer Werte auch die Aussagekraft des Tests. Inwieweit die Ergebnisse einer Lauf-Leistungsdiagnostik auch auf das Radtraining übertragen werden können, ist nicht immer einfach. Die häufig benutzte Formel, dass der Pulsschlag beim Radfahren um zehn Schläge niedriger ist als beim Laufen, kann bei guten Radfahrern und schlechten Läufern auch genau umgekehrt sein. Wie Sie sehen, handelt es sich bei all diesen Werten um sehr individuelle und in sich häufig widersprüchliche Aussagen und Regeln. Falls keine persönlichen Erfahrungswerte vorliegen, sollten Sie aus diesem Grund eine Leistungsdiagnostik immer nur für die Sportart machen, für die Sie die Werte auch benötigen. Versuchen Sie, den Test immer gleich zu gestalten. Dies bedeutet: gleiches Institut, gleiche Sportart, gleiche Stufenlänge, gleiche Dauer und gleicher Widerstand. Nur so stellen Sie sicher, dass die Ergebnisse von Test zu Test auch miteinander vergleichbar sind. Hinterfragen Sie auch, wie der Test aufgebaut ist und warum diese Vorgehensweise gewählt wurde. Erkundigen Sie sich beim Erhalt von Trainingsempfehlungen und Trainingsbereichen auch danach, wie diese Bereiche festgestellt wurden und welche Trainingsphilosophie sich dahinter verbirgt. Auch wenn sich dies alles auf den ersten Blick sehr kompliziert anhört, stellen Sie sehr schnell fest, ob das Training in die richtige Richtung geht und Ihr Trainer sein Handwerk versteht oder nicht. Denn nur dann, wenn Ihre Fragen von einem kompetenten Trainer oder Arzt ausreichend beantwortet wurden und Sie die komplexe Thematik einigermaßen verstanden haben, sind Sie auch bereit dazu, die vorgegebenen Trainingsempfehlungen umzusetzen.
Taschenrechner
Falls Sie den Gang zur Leistungsdiagnostik (noch) scheuen, können Sie auch mithilfe der Mathematik relativ genaue Pulsbereiche für Ihr Training berechnen. Subtrahieren Sie von Ihrem Maximalpuls Ihren Ruhepuls. Das Ergebnis ist die Pulsreserve, bei der es sich um den Bereich handelt, der für Ihr Training zur Verfügung steht. Ihre verschiedenen
Trainingsintensitäten berechnen Sie anhand eines bestimmten Prozentsatzes Ihrer Pulsreserve und Ihres Ruhepulses.
Fortsetzung Teil 2
Text: Bennie Lindberg, Triathlon Trainer, Triathlon Coach
Erschienen im: Tritime Magazin